Artist Statement
Meine Themen und Bild-Forschungen kreisen um mächtige gesellschaftliche und kulturelle Symbole, um ihre Bedeutungen und deren Wandlungen. Ich gehe davon aus, dass alles, was wir wahrnehmen (und somit interpretieren), sowie alles, was wir produzieren und gestalten, „Glaubenssache“ ist. Ich arbeite direkt mit bekannten Zeichen, Werken und Gestalten aus Gesellschaft, Politik, Architektur, Religionen, oder Hollywood-Filmen. Zugleich suche ich nach ihren versteckten und vergessenen Aspekten, die eine andere Sprache sprechen als die der (Definitions-) Macht. Meine Arbeiten zitieren, bewerten und formen diese überkommenen Repräsentationen neu, widersprechen ihren Konventionen mit visuellen Mitteln. Motive aus unserer Umgebung werden zu Metaphern für kollektive psychische Befindlichkeiten und historische Erfahrungen.
Mittels Video, Collage, Animation, Fotografie, Fotomontage und Found-Footage setze ich diese Symbole Transformationen aus, oft indem ich sie mit anderen Zeichen konfrontiere, mische. Sie erscheinen in neuen oder wieder gefundenen Zusammenhängen. So verlieren die mächtigen Bilder etwas von ihrer Autorität; sie werden beweglich, durchlässig und für unser Sehen und Denken heute produktiv. Symbole für Identitäten werden zu Elementen von Dialogen.
Meine Arbeiten sind konzeptuell und zugleich visuell sinnlich. Trotz unterschiedlicher Bildsprachen ist allen etwas gemeinsam: Konstruktive und de-konstruktive Gestaltungsprinzipien, sowie eine Inhaltlichkeit, die nicht Geschichten erzählt, sondern bildhafte Kommentare zu Gesellschaft, (Kunst-) Geschichte und Philosophie formuliert.
Myriam Thyes
Download Artist Statement (PDF, 16 KB)
B.A.R.O.C.K. – EINE SCHWER ZU FASSENDE PARABEL
Mark Gisbourne
(…) Avatare spielen auch bei den Arbeiten von Myriam Thyes, deren Videokunst und fotografische Installationen sich direkt auf die wiederkehrenden Motive von Superheldinnen, Kriegerinnen, Jägerinnen und mächtiger Frauen beziehen, eine zentrale Rolle. Thyes‘ Intervention besteht aus zwei Videos und einer fotografischen Installation. Als ausgebildete Malerin arbeitet sie daran, die Schnittstellen zu Fotografie und Film wieder sichtbar zu machen, wie es ihr Hintergrund als bildende Künstlerin nahelegt. Im Schlafgemach der Kurfürstin installierte sie ein Video mit dem Titel After Tiepolo (2013), das sich auf den venezianischen Maler und sein berühmtes Deckenfresko ‚Die vier Kontinente‘ in der Würzburger Residenz bezieht. In Form einer filmisch bearbeiteten und animierten Deckenprojektion wird das Fresko von Tiepolo mittels bildhafter Überlagerungen in eine zeitlich kosmologische Phantasmagorie gebracht.
Das Fresko überlagert sich mit virtuellen Visualisierungen des Universums, und es kommt zu einer Synästhesie, die zu einer psychologischen Überarbeitung der Idee der Collage und/oder der Bildmontage führt. Das Video sollte als Palimpsest sich übereinander lagernder Entfaltungen gelesen werden, da Planeten, Sternenkonstellationen, Nebel und Galaxien aus dem dahinterliegenden Fresko von Tiepolo hervortreten und die Farben zu einer elliptischen, symbolischen Umlaufbahn von kosmologischer Präsenz verschmelzen. Das Fresko stellt den Bereich der menschlichen Welt und des mythisch-religiösen Himmels dar, während die wissenschaftlichen Visualisierungen das Universum umspannen, das sie in die Gegenwart bringt. Darin tauchen nun zahlreiche berühmte Gebäude und Strukturen der modernen Welt auf. Sie durchdringen und zerstören das Weltall und das dahinterliegende Fresko von Tiepolo und gehen im Gegenzug in einer sich auflösenden Wolke wieder verloren. Das Mythische verschmilzt mit der Wissenschaft und der Naturgeschichte, die Planeten und Sternenkonstellationen sind zudem alle nach mythischen Gottheiten benannt und die astronomischen Erscheinungen verbinden sich mit dem Allegorischen. Das Video stellt auf unterschiedliche Weise eine komplexe Art der Wahrnehmung zwischen Geist und Vorstellung, Transzendenz und Immanenz, dem Empirischen und dem Symbolischen dar.
Die zweite Filmprojektion Titel Graceful Allegories stammt aus dem Science-Fantasy-Film Avatar (2009). Hier werden die Superheldin Dr. Grace Augustine (Sigourney Weaver) und ihr Avatar in einer ovalen Projektion auf der Decke des Vorgemachs der Kurfürstin gezeigt. Die Verwandlung und die einsame mythische Heldenreise im Zuge ihrer Selbstentdeckung spielen für die Arbeit eine zentrale Rolle. In dem Film Avatar sind mächtige Jägerinnen wie die Protagonistin Neytiri wesentliche Charaktere, die den Film vorantreiben. Auch hier führt die ähnliche Idee des „Avatar“ (als Wiedergeburt, Verkörperung oder Manifestation einer Person oder einer Idee) in der fotografischen Installation der Superheldinnen durch die Künstlerin diese Idee weiter. In diesem Raum finden wir hochformatige Porträts von 12 Cäsaren und Kaisern der Dynastie der Flavier, die mit Domitian endete. Über jedes Gemälde hat Thyes einen ovalen Ausschnitt aus einem (oder auch zwei) bearbeiteten Videostills von Schauspielerinnen als Superheldinnen, wie Superwoman, anderen mächtigen Frauen, fiktiven Actionheldinnen und Anti-Heldinnen angebracht. Der gewählte Vergleich ist weitgehend formal und die beiden Seiten stehen zueinander im Gegensatz: Während die männlichen römischen Herrscher einen lasterhaften, wenig tugendhaften Eindruck machen, strahlen die Superheldinnen dagegen kreative Intelligenz aus. (…)
Mark Gisbourne, 2019, in: B.A.R.O.C.K. Künstlerische Interventionen in Schloss Caputh, Hrsg. Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Verlag Edition Cantz, Esslingen 2019. ISBN 978-3-947563-31-9.