Take A Bow

Bis Anfang der 1970er Jahre war es für Mädchen in Deutschland und Österreich üblich, älteren Menschen mit einem Knicks Respekt zu erweisen. Was als höfliche Geste galt, wurde von vielen jedoch als Zwang erlebt – ein Akt der Unterordnung, der gerade weibliche Kinder in eine doppelte Abhängigkeit brachte: sie waren weder erwachsen noch männlich.

Myriam Thyes hat zehn Frauen gefilmt, die diese Erfahrung in ihrer Kindheit gemacht haben. Jede von ihnen zeigt einen Knicks in der für sie typischen Form. In der LED-Videoinstallation erscheinen die Aufnahmen nebeneinander, ergänzt durch kurze Texte mit Erinnerungen der Frauen – mal positiv, mal kritisch. Damit legt Thyes die Ambivalenz dieser Geste offen: Sie war Ausdruck von Respekt, aber auch ein Instrument zur Einübung von Demut und Hierarchie. Zugleich wird sichtbar, wie tief solche körperlichen Rituale in das Selbstbild wirken können – zwischen Haltung, Anpassung und Selbstentfremdung. In Ich musste noch knicksen verwandelt sich der einst demütigende Zwang in einen künstlerischen Akt der Befreiung. Myriam Thyes macht deutlich, wie sehr gesellschaftliche Konventionen unsere Körper prägen – und wie Kunst solche Prägungen sichtbar und hinterfragbar macht. Die Reflexion dieser Erziehung zur Höflichkeit im Knicks ist nicht nur ein künstlerischer dokumentarischer Akt im Werk, sondern auch eine Befreiung als Dekonditionierung und steht exemplarisch für eine Aufhebung ähnlicher Formalien, die im Zuge von Unterscheidungen Menschen – und damit auch Frauen – als ungleichwertig vorstellt.

Thomas W. Kuhn, 2025